Diskurs zu zu einer Veröffentlichung von Kardinal Kurt Koch zur Reinkarnation
Diskurs zu zu einer Veröffentlichung von Kardinal Kurt Koch zur Reinkarnation in „Der Tod- Ein Tor zum Leben“ Herausgegeben von Erich Camenzind 1997, Kanisius-Verlag 1997 Kurt Koch war in der Zeit der Veröffentlichung Ordinarius an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Er ist seit 2010 Kurienkardinal im Vatikan als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen |
A) Veröffentlichung von Kurt Koch in „Der Tod- Ein Tor zum Leben“
1. Was ist «Wiedergeburt»? 2. Ist die Lehre von der Wiedergeburt beweisbar? 3. Reinkarnation — eine Frage der Gerechtigkeit Gottes? 4. Evolutions- oder Unterbrechungszeit 5. Die tröstliche Botschaft des Fegefeuers 6. Gnade oder Leistung? 7. Wiedergeburt in der Taufe 8.Reinkarnation in der christlichen Tradition? —————- 1. Was ist «Wiedergeburt»? Falls die Statistiken nicht fehlgehen, glaubt heute bereits jeder fünfte Europäer an Wiedergeburt, Reinkarnation, Seelenwanderung oder Metempsychose. Diese Statistiken geben freilich keine Auskunft darüber, wie der heutige Mensch sich die Wiedergeburt konkret vorstellt. Von daher erweist es sich als wichtig, von vornherein verschiedene Vorstellungsweisen von Reinkarnation zu unterscheiden: Es gibt zunächst die afrikanische Vorstellung von Wiedergeburt. Diese beinhaltet, dass die Ahnen in den Nachkommen weiterleben, so dass der Mensch in seinen eigenen Kindern den wiedergeborenen Ahnen begegnen kann. Weit davon entfernt ist die Vorstellung der Wiedergeburt, wie sie ursprünglich in den östlichen Religionen des Hinduismus und des Buddhismus beheimatet ist. Diese Vorstellung ist wiederum um eine ganze Welt verschieden von der Wiedergeburtsvorstellung, wie sie bei uns in Europa groß geworden ist. Um nur die zwei wichtigsten Unterschiede zu benennen: In den östlichen Religionen des Hinduismus und des Buddhismus ist die Vorstellung der Wiedergeburt erstens ein ungemein tragischer Gedanke. Kein Hindu und kein Buddhist hofft auf Wiedergeburt, sondern jeder hofft darauf, ringt und betet darum, endlich aus dem schrecklichen Kreislauf der Wiedergeburten befreit zu werden. Wie tragisch diese Vorstellung in den östlichen Religionen ist, lässt sich zudem daran ablesen, dass nach bestimmten Ausprägungen dieser Religionen sogar die Götter dem Prozess der Wiedergeburten unterworfen sind. Dem gemäß werden die immer neuen Reinkarnationen als etwas Fürchterliches empfunden. Deshalb richtet sich, wie Wolfgang Pannenberg treffend bemerkt, die eigentliche Hoffnung der Hindus wie der Buddhisten «nicht auf die Wiedergeburt, sondern auf Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten durch die Kraft der Erkenntnis». Was in den östlichen Religionen also eine tragische Vorstellung ist, ist in Europa demgegenüber zu einer großen Hoffnung geworden. Hier wird die Möglichkeit zur Wiedergeburt als großer Trost empfunden und als Hoffnung auf neue Chancen für ein misslungenes Leben oder für eine weitere Stufe der Vervollkommnung freudig begrüßt. Während in den östlichen Religionen die Erlösung der Seelen gerade darin besteht, dass sie einmal nicht mehr wiedergeboren werden müssen, erweist sich demgegenüber in den europäischen Reinkarnationsvorstellungen der Kreislauf der Wiedergeburt selbst als Weg der Erlösung. Der zweite große Unterschied besteht darin, dass in den östlichen Religionen die Vorstellung der Wiedergeburt dazu dient, dem Menschen jeden Anflug der Konzentration auf das eigene Ich überwinden zu helfen. Denn die Lehre von der Wiedergeburt hat das Ziel, dass der Mensch sich von sich selbst löst, damit er frei wird, ins Nirwana eintreten zu können. Insofern gehört das «Subjekt», sofern man überhaupt von einem solchen reden kann, zum Kreislauf der Wiedergeburten selbst und muss aufgelöst werden, wenn es Erlösung finden soll. Im Buddhismus muss man paradoxerweise sogar von einer Seelenwanderung ohne Seele reden. Demgegenüber ist es für die europäischen Reinkarnationsvorstellungen charakteristisch, dass sie von einer Fortführung des persönlichen Lebens nach dem Einschnitt des biologischen Endes ausgehen und dass sie die Reinkarnationen als hoffnungsvolle Erweiterungen der Lebensmöglichkeiten über den Tod hinaus denken. Insofern geht es den westlichen Reinkarnationsvorstellungen gerade um die postmortale Sicherstellung des menschlichen Ich. In Europa hat folglich die Lehre von der Wiedergeburt oft den Sinn, das eigene Ich sogar noch Tiber den Tod hinaus retten zu wollen. Sie ist in ihren verschiedenen Formen fast so etwas wie ein posthumer Egoismus in der Gestalt der Konzentration auf das eigene Ich. Der reformierte Theologe Jürgen Moltmann urteilt jedenfalls mit Recht, wenn er betont, die westliche «Lebensgier», die sich darin ausdrücke, sei «ganz unindisch, um nicht zu sagen: unerleuchtet . 2. Ist die Lehre von der Wiedergeburt beweisbar? Wenn wir bisher von der europäischen Wiedergeburtsvorstellung gesprochen haben, ist dies natürlich ungemein vereinfacht. Man muss vielmehr auch im Lebensbereich Europas unterscheiden zwischen der höheren Form der Wiedergeburtslehre wie sie beispielsweise in der Anthroposophie Rudolf Steiners vorliegt, und den eher vulgären Formen, wie sie im Volksbewusstsein leben. Wenn diese eher populäre Lehre von der Wiedergeburt bei uns weit verbreitet ist, stellt sich die Frage, wo die Ursachen dafür liegen und wie dieses Phänomen genauerhin zu verstehen ist. Die weite Verbreitung dieser Vorstellung dürfte dabei mit einigen Grundzügen unserer heutigen Gesellschaft zusammenhängen. Unsere heutige Gesellschaft ist erstens eine ungemein fortschrittsgerichtete und wissenschaftsgläubige Gesellschaft. Die Wissenschaft ist derjenige Bereich, der für den heutigen Menschen zählt. Dies lässt sich bereits daran ablesen, dass die Experten großgeschrieben sind, was bis in die Werbung im Telespot hinein beobachtet werden kann. Soll ein Produkt gut angepriesen werden, lohnt es sich, einen einigermaßen gut aussehenden Mann anzustellen und ihn in einen weißen Kittel, das liturgische Gewand des heutigen «Priesters», eben des Experten, zu stecken. Denn der heutige Mensch will nicht mehr einfach auf Glauben angewiesen sein, sondern er will es wissen können. Von daher ist die Tendenz sehr groß, auch im Blick auf das Leben nach dem Tod nicht mehr auf Glauben angewiesen zu sein, sondern es wissen zu können. Die meisten Vertreter des Reinkarnationsglaubens gehen deshalb davon aus, dass es sich dabei gerade nicht um einen Glauben handelt, sondern um Fakten, die man ganz genau beweisen kann. Sehr viele Vertreter der Wiedergeburtslehre halten es für beweisbar, dass der Mensch wiedergeboren wird. In der Tat gibt es nicht wenige Anzeichen dafür, dass dem so sein könnte. Es gibt Menschen, die sich an frühere Leben erinnern. Es gibt Menschen, die ein Wissen davon haben, was in früheren Zeiten gewesen ist, ohne dass sie Geschichte studiert haben, einfach intuitiv in sich. Solche Fakten kann man nicht einfach leugnen. Im Blick auf die Wiedergeburtslehre wäre es verfehlt, von der Kirche her einen neuen Fall Galilei zu inszenieren, indem sich die Kirche gegen abgesicherte Fakten zur Wehr setzen würde. Auf der anderen Seite aber ist zu bezweifeln, ob jene Daten, die darauf hinweisen, dass es ein Wiedergeborenwerden der Menschen gibt, als Beweise wirklich standhalten können. Denn alle jene Fakten, die man aufzählen kann, sind letztlich nicht mehr als Vermutungen und Hinweise, nicht hingegen aber Beweise. Mit den sogenannten Beweisen für die Wiedergeburt verhält es sich ähnlich wie mit den Gottesbeweisen in der christlichen Tradition. Denn die sogenannten Gottesbeweise haben höchstwahrscheinlich keinem Menschen Gott beweisen können. Sie haben aber diejenigen Menschen, die immer schon an Gott glauben, in ihrem Glauben bestärken können. In diesem Sinne waren die Gottesbeweise nicht Anmarschwege von unten zu Gott, sondern gleichsam Fallbrücken, die vom Gottesglauben heruntergelassen wurden, damit die Menschen nachher um so besser hinaufsteigen können. Genauso dürfte es sich mit den Fakten verhalten, die auf Reinkarnation hindeuten und die man sensibel zur Kenntnis nehmen muss. Freilich lassen sich diese Fakten auch ganz anders interpretieren. Um nur ein ganz einfaches Beispiel zu nennen: Vor einigen Jahren habe ich einen Bericht von einer Haushälterin eines katholischen Pfarrers gelesen, die auf dem Sterbebett perfekt hebräische Psalmen zitiert hat, wiewohl sie nie Hebräisch gelernt hatte. Was liegt angesichts dieses Phänomens zunächst anderes nahe als der Schluss, diese Frau müsse in ihrem früheren Leben Hebräischprofessorin in Tel Aviv gewesen sein? Der wahre Grund für diese eigenartige Erscheinung war freilich ein anderer. Diese Haushälterin hatte einen hervorragenden Pfarrer, und dieser Pfarrer war deshalb hervorragend, weil er auch über das Alte Testament gepredigt und seine Predigt immer auf dem hebräischen Urtext vorbereitet hat, den man laut liest. So ist es dazu gekommen, dass die Pfarrhaushälterin ein Leben lang ihren Pfarrer hebräisch hat reden hören, was sich irgendwo in ihrem Unterbewusstsein abgelagert hat und was im Sterbeprozess an die Oberfläche getreten ist. Mit diesem schlichten Beispiel soll nur gesagt sein, dass es in der Tat Phänomene gibt, die auf Reinkarnation hindeuten, dass sich damit aber Reinkarnation nicht beweisen lässt. Von daher bleiben wir auch bei dieser Frage nach dem Leben nach dem Tod auf Glauben angewiesen; und die einzig sinnvolle Frage, die man als christlicher Theologe stellen kann, ist die, ob diese Vorstellung mit dem christlichen Glauben überhaupt übereinstimmen kann oder nicht. 3. Reinkarnation — eine Frage der Gerechtigkeit Gottes? Bevor dieser Frage weiter nachgegangen werden kann, muss der Hauptgrund beim Namen genannt werden, warum heute so viele Menschen von der Lehre der Wiedergeburt fasziniert sind. Der entscheidende Grund dürfte darin liegen, dass diese Hoffnung zumindest auf den ersten Blick eine auch intellektuell befriedigende Erklärung für die tatsächliche Ungleichheit der Menschen in der Welt zu geben vermag und dass sich damit das uralte Problem der Ungerechtigkeit in unserer Welt lösen lässt. Ist es in der Tat nicht ungerecht, dass viele Menschen in erbärmlichen Verhältnissen leben müssen, dass andere Menschen bereits verkrüppelt oder debil auf die Welt kommen, und dass andere Menschen nach einem nur sehr kurzen Leben, beispielsweise durch einen Verkehrsunfall, sterben müssen? Ist es nicht furchtbar ungerecht, dass ein Mensch lebenssatt mit 95 Jahren gerne stirbt und ein anderer Mensch mit 15 Jahren durch einen Unfall ums Leben kommt? Wo ist denn da die Gerechtigkeit? Auf diese Frage scheint die Lehre von der Wiedergeburt eine eindeutige Antwort geben zu können. Denn sie löst dieses Problem dadurch, dass sie den ungerecht leidenden Menschen weitere Chancen und neue Lebensmöglichkeiten auf unserer Welt anbietet. Einige Anhänger der Wiedergeburtslehre gehen sogar so weit, dass sie annehmen, jeder Mensch müsse alle Facetten des Menschseins erlebt haben, um fähig werden zu können, in die Vollendung einzugehen. Dies bedeutet konkret, dass der Mensch einmal als Mann und einmal als Frau wiedergeboren werden muss, einmal als Verheirateter und einmal als Ordensmensch, einmal als Pfarrer und ein anderes Mal als Bankräuber. Denn nur auf diesem Wege sei es möglich, alle Facetten des Menschseins erleben zu können. Es dürfte genau dieses Problem der Ungerechtigkeit und das hinter ihm verborgene Problem des Leidens in der Welt sein, das die heute ständig im Wachsen begriffene Hoffnung auf Wiedergeburt verstehbar macht. In früheren Jahrhunderten wurde das Problem des Leidens zum Fels des Atheismus erklärt; heute jedoch wird das Problem des Leidens zum Anlass und Antrieb neuer Hoffnung, die zudem verspricht, das letztlich unlösbare Problem der Vereinbarkeit des Leidens der Menschen mit der Annahme eines gütigen und allmächtigen Gottes zu erklären. In diesem Sinne schreibt Allan Kardec, ein entschiedener Verfechter der Reinkarnationslehre: «Die Reinkarnationslehre, die dem Menschen mehrere sich folgende Existenzen zuschreibt, ist die einzige, die der Gerechtigkeit Gottes für die Menschen entspricht, die Zukunft erklärt und unsere Hoffnung festigt, weil sie uns die Mittel gibt, unsere Irrtümer durch neue Prüfungen wieder gutzumachen.» Vom christlichen Glauben her ist freilich zurückzufragen, welche Vorstellung von Gerechtigkeit hinter dieser Annahme steht. Dabei handelt es sich um eine auf den ersten Blick lapidare Frage. Denn jeder Mensch scheint doch zu wissen, was gerecht ist. Sieht man freilich genauer zu, gibt es zwei grundverschiedene Vorstellungsweisen von Gerechtigkeit. Die eine sagt: jedem das Gleiche, und die zweite sagt: jedem das Seine. Zwischen diesen beiden Vorstellungsweisen besteht ein großer Unterschied. Stellen wir uns einmal vor, wir wären noch in der Schule und hätten die Wahl zwischen zwei Lehrern: dem Lehrer A, der nach dem Prinzip «jedem das Gleiche» handelt, der folglich einen absoluten Maßstab hat, der alle seine Schüler über diesen Leisten schlägt und die Schüler demgemäß benotet, und dem Lehrer B, der nach dem Prinzip «jedem das Seine» handelt und der folglich seine Schüler nach den ihnen eigenen Möglichkeiten beurteilt. Welchen Lehrer würden wir bevorzugen? Ich für meinen Teil würde Lehrer B bevorzugen, der jedem so, wie es ihm zukommt, gerecht zu werden versucht. Dabei darf man die schöne Entdeckung machen, dass der Lehrer B sogar im Evangelium vorkommt. Denken wir nur an das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16), in dem die Arbeiter zwar zu verschiedenen Tagesstunden ihre Arbeit aufnehmen, aber doch alle den gleichen Lohn erhalten. Dieses Gleichnis wirkt auf uns ungemein skandalös, und noch skandalöser wirkt die Begründung des Gutsbesitzers für sein Verhalten: Alle bekommen den gleichen Lohn, weil der Gutsbesitzer – gemeint ist natürlich Gott – gut ist. Gott, so zeigt es das Evangelium, handelt offensichtlich nach dem Prinzip «jedem das Seine», so wie es ihm zukommt und wie es ihm gemäß ist. Erst dies ist eine ungemein tröstliche Vorstellung von Gottes Gerechtigkeit. Die zweite Rückfrage, die aus der Sicht des christlichen Glaubens an die Vorstellung der Wiedergeburt zu stellen ist, ist die, ob sie das Problem des Leidens wirklich zu lösen vermag, wie sie vorgibt, oder ob sie es nicht einfach ins vorgeburtliche Leben zurückdatiert. Die Lehre von der Wiedergeburt geht ja davon aus, dass wir Menschen immer schon als präexistente Seelen vor unserer Geburt bei Gott gelebt haben. Dann aber stellt sich von selbst die Frage, wie denn diese Seelen auf die letztlich absurde Idee kommen, in unsere Welt einzutreten. Auf diese Frage antworten die meisten Vertreter der Reinkarnationslehre, dass dies aufgrund eines vorirdischen präexistenten Sündenfalls der Seele geschehe. Deshalb müssten sie auf unsere Erde kommen, um diesen vorirdischen Sündenfall wieder gutzumachen. Mit dieser Auskunft freilich wird das Problem nur noch größer. Denn dass wir als endliche und damit beschränkte Menschen auf der Erde auf die Idee kommen, zu sündigen, dürfte einigermaßen einleuchten. Dass wir aber als präexistente Seelen bei Gott auf die Idee kommen, zu sündigen, dazu brauche ich persönlich unendlich viel mehr Glauben. In dieser Annahme eines präexistenten Sündenfalles aber liegt der entscheidende Hintergrund der Lehre von der Reinkarnation. Demgegenüber ist der christliche Glaube davon überzeugt, dass das jetzige Leben ein absoluter Ernstfall ist, dass das jetzige Leben über Leben und Tod entscheidet und dass folglich der Austritt aus diesem Leben und der Eintritt in eine andere Welt endgültig sein werden. 4. Evolutions- oder Unterbrechungszeit Diese Überzeugung vom einmaligen Ernstfall des Lebens auf dieser Erde setzt natürlich ein anderes Verständnis der Zeit als das heute üblich gewordene voraus. Vor einigen Jahren hat der deutsche Schriftsteller Botho Strauss ein Buch geschrieben, das den auf den ersten Blick merkwürdigen Titel trägt: «Beginnlosigkeit». Tiefer gesehen, hat er damit das durchschnittliche Zeitempfinden des heutigen Menschen treffend beim Namen genannt. Dabei bleibt nur hinzuzufügen, dass der von Strauss diagnostizierten Beginnlosigkeit im heutigen Empfinden natürlich und erst recht auch die Finallosigkeit der Zeit entspricht. Im Grunde sind wir Menschen heute fasziniert von einer Zeit, die weder einen Anfang noch ein Ende zu kennen scheint und deshalb den Namen «Zeit» eigentlich gar nicht verdient. Hier dürfte der Grund liegen, warum sich vielen Menschen heute die Zeit immer mehr entwichtigt, wie- wohl sie ständig im Fluss ist. Man kann sie weder anhalten noch zurückdrehen; alles geht vorbei, ver- schwindet, lenkt sich seinem unerbittlichen Ende zu. Die Menschen heute aber glauben weithin an eine evolutionär stets fortschreitende oder auch an eine immer wiederkehrende Zeit. Hier liegt es begründet, dass in der heutigen Zeit, in der das Gespür für die Zeit immer mehr verloren geht, gerade der Glaube an die Wiedergeburt des Menschen Hochkonjunktur hat. Denn in der stets weitergehenden und wieder- kehrenden Zeit gibt es nur noch Hypothetisches, aber nichts Endgültiges mehr. Demgegenüber ist der christliche Glaube gerade von einer evolutionär zerdehnten oder stets nicht wiederkehrenden Zeit überzeugt. Er verkündet vielmehr eine befristete Zeit, die sowohl einen Anfang als auch ein Finale kennt. Und dieser Horizont befristeter Zeit bedeutet gerade nicht eine Entwichtigung der Gegenwart. Im Gegenteil: Erst in dienern Horizont wird Gegenwart in jener emphatischen Weise erfahrbar, die für die biblische Botschaft kennzeichnend ist. Für sie ist die Zeit der Geschichte unendlich kostbar, weil sie der Ort der menschlichen Verantwortung ist. Gerade diese Dimension ist ausgezeichnet durch das nie wiederkehrende und deshalb unendlich kostbare «Heute», auf dem die biblische Botschaft energisch besteht, wie gerade die Zachäusgeschichte überdeutlich zeigt: «Heute muss ich in deinem Haus Gast sein!» «Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden» (Lk 19,1-10). Von daher dürfte es kein Zufall sein, dass sich dieses neue Zeitverständnis der Bibel in der deutschen Sprache kaum ausdrücken lässt. Demgegenüber kennt die griechische Sprache für das eine deutsche Wort «Zeit» zwei Begriffe mit recht unterschiedlichem Inhalt: «Chronos» ist ein rein quantitativer Begriff und bezeichnet die messbare Zeit. Diese ist vor allem Uhrzeit, die durch objektive Beobachtung erfasst und am Chronometer abgelesen werden kann, der ohnehin die Schlüssel maschine des modernen Industriezeitalters geworden ist. «Kairos» ist demgegenüber ein qualitativer Begriff. Er bedeutet eine besonders günstige Gelegenheit oder auch eine andrängende Situation für fällige Entscheidungen. Und diese Zeit lässt sich nicht ohne persönliche Betroffenheit und innere Beteiligung des Beobachtenden selbst erfahren. Während viele Menschen heute in der fatalen Gefahr stehen, die gegenwärtige Weitzeit im Sinne des «chronos» –geradezu chronisch (!) –misszuverstehen, zeichnen sich Christen dadurch aus –sie sollten es jedenfalls und könnten es auch! –, dass sie das biblisch bezeugte befristete Wesen der Zeit wahrnehmen und daraus Konsequenzen für die Lebensgestaltung ziehen, wie sie in einer rabbinischen Legende deutlich werden: Ein jüdischer Rabbi sagte einmal zu seinen Schülern: «Tut Busse einen Tag vor eurem Tod!» Darauf fragte ihn einer seiner Schüler: «Weis denn der Mensch, an welchem Tag er sterben muss?» Darauf antwortete der Rabbi: «Eben darum kehre er heute um, vielleicht muss er morgen sterben. So lebt er alle Tage die Umkehr, so lebt er jeden Tag, als wäre er der letzte.» In der Tat: jeden Tag so zu leben, als wäre er der letzte! Dies heißt leben im biblischen Kairos. Dies kann natürlich nicht bedeuten, dass unsere alltäglichen Sorgen und Geschäfte bedeutungslos würden. Es heißt aber sehr wohl, jeden Tag vom letzten Sinn her und auf das letzte Ziel hin zu gestalten. Und dies gibt unserer Zeit Gewicht. Denn mit unserem Leben verhält es sich wie mit den Ferien: Wer im Jahre 52 Wachen Ferien hat, hat im Grunde keine Ferien mehr. Wer aber zwei oder drei Wochen Ferien hat und darum weis, wie begrenzt sie sind, wird versuchen, das Beste aus ihnen zu machen. So vermag auch ein besseres Leben zu führen, wer immer wieder ein Rendezvous mit dein eigenen Tod hat. 5. Die tröstliche Botschaft des Fegefeuers In diesem Zeitverständnis ist die Überzeugung ausgedrückt, dass sich im jetzigen Leben auch Ewigkeit entscheidet. Diese Überzeugung vom einmaligen Ernstfall des jetzigen Lebens heißt natürlich nicht, dass nicht jenseits des Todes weitere Lebensentfaltungen möglich wären. Diese Annahme ist in der katholischen Tradition aufbewahrt mit der Vorstellung vom Fegefeuer. Diese setzt voraus, dass es im menschlichen Leben viel Unaufgearbeitetes und Misslungenes gibt, das nach dem Tod noch der Reinigung und der Läuterung bedarf. Insofern setzt die Fegefeuerlehre voraus, dass der Mensch sich auch nach seinem Tod weiterentwickeln kann. In der christlichen Auseinandersetzung mit der Wiedergeburtslehre legt es sich deshalb nahe, auf dieses alte Glaubenstraditionsstück der katholischen Kirche zurückzukommen. Gebhard Frei hat jedenfalls mit Recht das «ernste Anliegen» sowohl der Fegefeuerlehre wie auch der Reinkarnationslehre darin gewürdigt, dass sie eine «Ahnung vom großen Reifeprozess» verraten, «zu dem jede geistige Seele berufen ist»: «Nichts Unreines und Unreifes kann in die letzte Vollendung bei Gott eingehen.» Die Vorstellung des Fegefeuers bietet sich deshalb als jene Glaubensaussage des Christentums an, die die wohl engste gedankliche Verbindung mit der Reinkarnationslehre aufweist. Auch der christliche Glaube setzt mit seiner Überzeugung von der Notwendigkeit der Reinigung des Menschen nach seinem Tod voraus, dass es im menschlichen Leben viel Misslungenes gibt, das der Läuterung bedarf! Allerdings — für diese Läuterung schickt der christliche Glaube den Menschen nach seinem Tod nicht ins Exil eines zweiten oder dritten Lebens, damit er dort das nachholen kann, was er in seinem ersten Leben nicht geschafft hat. Denn es ist nicht der Mensch, der sich selbst läutert, sondern Gott selbst bereitet den Menschen in der personalen Begegnung des Verstorbenen mit sich durch das «Feuer» seiner göttlichen Liebe für das Eingehen in das ewige Leben. Von daher kann man auf der einen Seite den christlichen Fegefeuerglauben als eschatologische Verdichtung der Reinkarnationslehre auf einen jenseitigen Läuterungsprozess im Angesicht Gottes und auf der anderen Seite die Reinkarnationslehre als vom Jenseits ins Diesseits transponiertes und zudem auf verschiedene Erdenleben zerdehntes «Fegefeuer» verstehen. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, dass die traditionelle Vorstellung des Fegefeuers von den problematischen Ausmalungen der Volksfrömmigkeit befreit werden kann. Die traditionelle Vorstellung des Fegefeuers zeigt, wie sehr die überschießende Phantasie der Menschen hinsichtlich des konkreten Wie des noch von irdischer Schuld zu reinigenden Menschen offenbar nie genug haben konnte, so dass aus dem tröstlichen Geschehen des Fegefeuers insbesondere in den problematischen Ausmalungen der Volksfrömmigkeit mehr und mehr eine jenseitige Folterkammer oder gar ein «göttliches» Konzentrationslager geworden ist. Bedenkt man aber, dass es sich bei der Glaubensaussage des Fegefeuers um eine zentrale innere Dimension der personalen Gottesbegegnung des Menschen im Tod handelt, erweist sie sich als elementares Evangelium, dessen in der Läuterung des Menschen im Kerngedanken Gottes, des im Verzehrt- und Ausgeschmolzenwerden – des Menschen im brennenden Feuer der reinen göttlichen Liebe liegt: Im Tod steht der Mensch in seiner eigenen Endgültigkeit vor Gott, die freilich von Gott her betrachtet nur eine vorläufige sein kann, genauerhin eine, die vorläuft in die allein von Gott den Menschen geschenkte Vollendung, weshalb man das Fegefeuer mit der treffenden Formulierung Bernd Jochen Hilberaths als «Vorlauf zum Himmel» bezeichnen kann. In dieser vorlaufenden Endgültigkeit des heilenden Läuterungsgeschehens des Fegefeuers erkennt der Mensch endgültig und ohne jede Maske, wer er in Tat und Wahrheit ist. Indem der Mensch im Tod vor die Unbegreiflichkeit des absoluten Geheimnisses und vor die Unauslotbarkeit der Majestät Gottes tritt, findet er – endlich! – seine Identität, auf die hin er ein ganzes Leben lang unterwegs war. Vom tröstlichen Geschehen des Fegefeuers darf man sich deshalb den endgültigen Gewinn der menschlichen Identität erwarten. Denn während des irdischen Lebens weiß man nie so genau, wer man eigentlich ist„ Man hat immer nur eine blasse Ahnung davon, wer man sein könnte. Deshalb kommt man immer wieder in die Situation, mit Sören Kierkegaard zu klagen: «Traurig grüsst der, der ich sein sollte, den, der ich bin.» Fegefeuer aber heißt zutiefst, dass wir unsere Identität in der Begegnung mit Gott endgültig finden. Solche Identitätsfindung kann aber nicht gelingen ohne Erkenntnis und Anerkenntnis der eigenen Schuld des Menschen. Vielmehr wird der Mensch im unmittelbaren Auge in Auge mit seinem Befreierrichter gleichsam von selbst seiner eigenen Schuld inne, und zwar im ursprünglichen Sinn, dass er die Verwirklichung der ihm von Gott zugeeigneten unverwechselbaren Bestimmung weithin schuldig geblieben ist. Dies aber bedeutet, dass sich der Mensch in der unmittelbaren Gottesbegegnung eigentlich selbst richtet. Wer der abgründigen Verborgenheit dieses Läuterungsgeschehens ansichtig wird, für den wird dieser prüfende und reinigende « Feuerblick Gottes» (Hebr 12,29) jedenfalls Schmerz und auch Strafe genug sein. Wer hingegen darüber hinaus in seiner überschiessenden Phantasie noch mehr meint aussagen und noch mehr «Strafen» erfinden zu müssen, würde letztlich über das Fegefeuer weniger und zu wenig aussagen und die evangelische Hoffnungsaussage des Fegefeuers gründlich verderben. Das Fegefeuer meint also den heilenden Prozess der Läuterung des Menschen in der Begegnung mit Gott. Damit ist vorausgesetzt, dass der Mensch sich jenseits des Todes noch weiter entwickeln kann, wenn er dazu bereit ist, sich von Gott heilen zu lassen. In diesem Sinne ist der Glaube an das Fegefeuer ein ungemein tröstliches Evangelium. Es ist so tröstlich, dass man es, gäbe es dieses nicht schon, erfinden müsste. Denn in ihm ist die Botschaft aufbewahrt, dass der Mensch nicht als perfekter, vollendeter Mensch sterben muss, dass er vielmehr das Recht hat, auch als mäßiger Mensch sterben zu können, weil all das Unaufgearbeitete in seinem Leben im liebenden Feuer Gottes ausgeheilt werden wird. Demgegenüber enthält die Lehre von der Wiedergeburt die rigide Zumutung an den Menschen, sich selbst zu vervollkommnen, so dass er sich selbst ins Jenseits heimbringen muss. Damit stoßen wir auf einen weiteren radikalen Unterschied zwischen der Wiedergeburtslehre und dem christlichen Fegefeuerglauben. 6. Gnade oder Leistung? Als Hoffnung auf die endgültig-gültige Läuterung des Menschen durch und bei Gott enthält die christliche Glaubensaussage des Fegefeuers die tröstliche Verheißung, dass die Vollendung des menschlichen Lebens nicht allein dessen eigene Leistung ist, sondern das befreiende Gnadengeschenk Gottes selbst. Demgegenüber setzt die Lehre von der Reinkarnation voraus, dass es letztlich der Mensch selbst ist, der sich ins ewige Leben hineinbringt, und zwar dadurch, dass er sich durch den Prozess der Wiedergeburten zurüstet, bis er bereit sein wird, in die Ewigkeit einzugehen. Von daher erweist sich die Lehre von der Wiedergeburt als sehr symptomatisch für unsere gegenwärtige gesellschaftliche Lebenswelt, die im Kern eine Leistungsgesellschaft geworden ist. In der heutigen Gesellschaft zählt die Leistung zu den höchsten Werten des Menschen. Der Mensch ist in der heutigen Gesellschaft im Grunde genommen genau soviel wert, wie er leisten kann und wie er dementsprechend ökonomisch sich leisten kann. Von daher ist es beispielsweise kein Zufall, dass in der heutigen Gesellschaft zwei Probleme miteinander akut geworden sind, nämlich das Problem der Abtreibung und das Problem der Euthanasie. Handelt es sich im ersten Fall um menschliches Leben, das noch nichts leisten kann, geht es im andern Fall um menschliches Leben, das nichts mehr leisten kann. Beide, sowohl das ungeborene als auch das alte, leidende, kranke und sterbende Leben haben aber auf der Börse unserer heutigen Leistungsgesellschaft einen ungemein schwachen Kurswert. In dieser von der Leistungsideologie geprägten Gesellschaft scheint es auf den ersten Blick verständlich zu sein, dass der Mensch nun auch in seiner Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod nicht mehr auf Gnade und Geschenk angewiesen sein, sondern dass er auch und gerade den Prozess der Vollendung seines eigenen Lebens selbst erleisten will. Diese Vorstellung, dass der Mensch seine Reifung und Selbstverwirklichung und damit die Vollendung seines eigenen Lebens selbst leisten muss, steht letztlich hinter jedweder Gestalt der Seelenwanderungslehre. Dafür diese Aufgabe des Selbstwerdens und der Vollendung der eigenen Person ein Menschenleben zumeist nicht hinreicht, ergibt sich notwendigerweise das Postulat einer Abfolge von mehreren Wiedergeburten, die allererst das Heraufarbeiten des Menschen zu seiner Vollendung möglich machen. Demgegenüber ist der christliche Glaube der Überzeugung, dass der Mensch es nicht selbst und allein leisten muss, Mensch zu werden und seine Möglichkeiten zu verwirklichen. Die Vollendung des Menschseins ist vielmehr das Gnadengeschenk Gottes. An diesem Prozess der Menschwerdung und Vollendung ist der Mensch selbstverständlich mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten aktiv beteiligt, insofern seine wesentliche Aufgabe darin besteht, dem Gnadengeschenk Gottes in der Freiheit seiner Liebe zu entsprechen. Dennoch ist die Vollendung des menschlichen Lebens letztlich nur möglich durch das Gnadengeschenk Gottes und die ihm entsprechende Antwort des Menschen im Auferstehungsleben bei Gott. Insofern regiert im christlichen Glauben das Prinzip der Gnade. Und dieses Prinzip der Gnade ist für den christlichen Glauben schlechthin entscheidend. Freilich darf man nicht verschweigen, dass auch dieses Grundwort «Gnade» heute einen großen Kursverlust erlitten hat. Das Wort «Gnade» gehört zu den in der Kirche am meisten gebrauchten Wörtern. Es gehört heute freilich auch zu den am meisten abgeschliffenen Wörtern. Zu nahe liegen die Assoziationen an feudale Reste, wie sie sich etwa in der devoten Anrede eines Fürsten oder eines Bischofs als eines «gnädigen Herrn» aussprechen. «Gnade» ist deshalb im durchschnittlichen Bewusstsein selbst der Christen zu einem Wort der Abhängigkeit und Unterwürfigkeit verkommen. Sieht man freilich genauer zu, kommt auch der heutige Mensch nicht darum herum, von Gnade zu reden. Dabei sind es vor allem zwei Lebensbereiche, in denen von Gnade die Rede ist: Der eine Lebensbereich ist derjenige der Rechtsprechung. Wird auf der einen Seite Schuld gesprochen und auf der anderen Seite Schuld auch wirklich eingestanden, bleibt nur noch die eine Möglichkeit, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Bei aller Blassheit dieses Sprachgebrauchs kommt damit zum Ausdruck, dass Gnade ein letztlich unverdientes Geschenk ist. Der andere Lebensbereich ist derjenige der Kunst. Wir reden gerne von einem begnadeten Künstler und bringen damit zum Ausdruck, dass bei aller genialen Höchstleistung eines Künstlers sein Werk letztlich ein nicht erzwingbares Geschenk schöpferischer Freiheit ist. Bei aller Blassheit dieses Sprachgebrauchs kommt damit wiederum zum Ausdruck, dass Gnade letztlich unverfügbar ist.Beide Lebensbereiche werden vom christlichen Glauben aufgenommen und dahin vertieft, dass letztlich alles Gnade ist. Gnade ist im christlichen Glauben auch und gerade die Vollendung des menschlichen Lebens bei Gott, wo er vollendet, ganz und deshalb rund sein wird. Von daher ist die in mythologischer Sprache ausgedrückte Vorstellung bei einigen Origenisten verbreitet gewesen, dass die Menschen im Himmel eine Kugelgestalt haben werden. Hinter dieser Vorstellung ist eine tiefe Wahrheit verborgen. Denn die Behauptung, dass alle Menschen im Himmel rund und damit Kugeln sein werden, wurde damit begründet, dass allein diese Vorstellung die Vollendung des Menschen im ewigen Leben adäquat zum Ausdruck bringen kann. In sprachgeschichtlicher Hinsicht ist es besonders interessant, dass im Hebräischen das Wort «rund» in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wort schalanlu» steht, was unzerstückelt sein bedeutet und von dem sich das Wort «Schalom» ableitet. 7. Wiedergeburt in der Taufe Dieser «Schalom» kann den Menschen in der Sicht des christlichen Glaubens aber nur von Gott geschenkt werden. Hier liegt es zutiefst begründet, weshalb auch der christliche Glaube von Wiedergeburt redet. Diese Wiedergeburt ereignet sich dabei an einem spezifischen Ort, nämlich in einem Bad. Und dieses «Bad der Wiedergeburt» (Tit 3,5) ist die christliche Taufe auf Tod und Auferstehung Jesu Christi. Für den christlichen Glauben gibt es folglich keine Wiedergeburt nach dem Tod, wohl aber eine Wiedergeburt im jetzigen Leben. Denn im Zum-Glauben-Kommen, das seinen unüberbietbaren Ausdruck findet in der christlichen Taufe, wird der Mensch zu neuem Leben wiedergeboren: «Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen» (Joh 3,5). Nach christlichem Verständnis ereignet sich die wahre Wiedergeburt des Menschen in der Taufe auf den Tod Jesu Christi. Getauft zu werden heißt somit, mit Christus zusammen zu sterben als «alter Mensch», um ebenso zusammen mit ihm auferweckt und neu geboren zu werden, wie dies Paulus treffend ausdrückt: «Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben» (Röm 6,3-4). Die Taufe des Christen beinhaltet somit eine elementare Vorverlagerung unseres Todes: Der Tod, den wir am Ende unseres Lebens sterben werden, bleibt zwar oft genug ein schmerzlicher Tod; aber im Grunde genommen zählt er nicht mehr, weil wir, durch die Taufe aufgenommen in die Kirche als die Gemeinschaft der von Gott her Wiedergeborenen, bereits jetzt im Leib des auferweckten Christus leben. Der viel ernsthaftere Tod, in dem wirklich eine ganze Welt aufgegeben wird und eine neue Welt sich eröffnet, ist die Taufe, der Übergang aus der alten Gesellschaft des alten Menschen in die neue Gesellschaft des Menschensohnes. Die eigentliche Scheidelinie des christlichen Lebens ist somit nicht der Tod, sondern die Taufe. Die Taufe ist geradezu die spezifisch christliche Definition von Tod und Wiedergeburt. Diese Wiedergeburt ist ein für allemal geschehen in der Taufe, um sie freilich jeden Tag neu zu bewähren und die überfälligen Konsequenzen daraus zu ziehen. Diese Konsequenzen sind riesengroß, wenn man beispielsweise bedenkt, wie konkret Paulus sie entfaltet hat, indem er eine ihm überlieferte Taufformel aufgegriffen hat: «Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Jesus Christus, denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus» (Gal 3,26-28). Diese Taufformel enthält eine feierliche Erklärung, die ursprünglich über alle Neugetauften ausgesprochen worden ist. Und diese feierliche Erklärung bedeutet die wahre Subversion der christlichen Taufe. In ihr geht es schlechterdings um die Aufhebung aller historisch-gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und damit um die Überwindung der drei entscheidenden Ursünden, die auch heute noch die Weltgesellschaft elementar bedrohen, nämlich erstens des Rassismus, d. h. der Diskriminierung bestimmter menschlicher Rassen zugunsten zumeist der eigenen Rasse; zweitens des Imperialismus, d. h. der Diskriminierung bestimmter gesellschaftlicher Stände zugunsten anderer gesellschaftlicher Stellungen und wirtschaftlicher Positionen; und drittens des Sexismus, d. h. der Diskriminierung der Frauen zugunsten der Männer. Das Untertauchen der Menschen in Wasser und Geist der christlichen Taufe markiert für Paulus den unwiderruflichen Beginn der endgültigen Wiederherstellung der von Gott gemeinten Ordnung einer wirklich solidarischen Gesellschaft, die in Frieden und Gerechtigkeit lebt. Diese neue Gesellschaft soll und kann aufgrund der Taufe in der christlichen Kirche beginnen, wie es der erste Johannesbrief sehr schön ausdrückt: Wir wissen, «dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben» (1 Joh 3,14). So ernst will der christliche Glaube unser jetziges Leben nehmen, dass er jeden einzelnen Tag zum Tag der Umkehr zu Gott und seinem Reich in Frieden und Gerechtigkeit bestimmt. Diese Wiedergeburt der christlichen Umkehr, die grundgelegt ist in der Taufe, muss sich deshalb heute ereignen. Denn Buße im Sinne der christlichen Umkehr beinhaltet die lebenslange Aneignung der Wiedergeburt des Taufbades. Eben deshalb verträgt diese geschichtliche Umkehr keine Vertagung auf den Sanktnim- merleinstag oder gar auf weitere Leben, wie die Seelenwanderungslehre verheißt. Von daher muss die Frage zumindest erlaubt sein, ob die Seelenwanderungslehre wohl deshalb heute so viele Christen anspricht, weil sie ihnen ein schlechtes Gewissen ob der im jetzigen Leben so oft ausbleibenden Umkehr zur wahren Wiedergeburt in der Taufe erspart. Wer aber die Tragweite der christlichen Zumutung zur Buße jeden Tag erfasst, kann letztlich gar nicht anders, als wirklich nur einmal auf Erden leben zu wollen. Denn er lebt aus der gewissen Hoffnung heraus, dass er nach dem einmaligen Ernstfall des jetzigen Lebens auf unserer Erde für alle Ewigkeit bei und mit Gott leben wird aus reiner Gnade. 8. Reinkarnation in der christlichen Tradition? Diese Überzeugung verwandelt unser Leben zu etwas Endgültigem und nimmt ihm den Charakter des Hypothetischen. Denn sie deutet den Exodus des Menschen aus diesem Leben in seinem Tod nicht einfach um zu einem harmlosen Transitus von einem Leben zum andern, wie es die Lehre von der Wiedergeburt letztlich annimmt; der Tod wird im christlichen Glauben vielmehr radikal ernst genommen als Abbruch des jetzigen irdischen Lebens und als Auferstehung zu einem neuen Leben bei Gott. Hier liegt der tiefste Grund, weshalb in der ganzen Tradition des Christentums die Lehre von der Wiedergeburt eigentlich nie Fuß fassen konnte. Dies gilt auch und gerade im Blick auf die Alte Kirche und hier in besonderer Weise für Origenes, der immer wieder als Zeuge für die Lebendigkeit der Seelenwanderungslehre in der frühen Kirche herangezogen wird. Sieht man freilich genauer zu, dann zeigt sich, dass Origenes zwar die Präexistenz der Seele gelehrt hat, die ja eigentlich die Voraussetzung für Wiedergeburt ist, dass er aber die Wiedergeburt gerade abgelehnt hat. Wenn folglich auf der Versammlung der Konstantinopolitanischen Kirchenprovinz im Jahre 543 Lehrsätze des Origenes verurteilt worden sind, lässt sich daraus nicht auf eine Verurteilung der Seelenwanderungslehre in der Alten Kirche schließen. Die genannte Kirchenprovinz definierte vielmehr folgenden Lehrsatz gegen die Origenisten: «Wer sagt oder daran festhält, die Menschenseelen hätten ein Vorleben gehabt, d. h. sie seien zuvor Geister und heilige Gewalten gewesen, sie seien aber der göttlichen Anschauung satt geworden, hätten sich dem Bösen zugewandt, seien deshalb in der Liebe Gottes erkaltet, hätten so den Namen Seelen (= die Kalten) bekommen und seien zur Strafe dafür in die Körper gebannt worden, der sei ausgeschlossen.» Aus dieser Verurteilung kann man unmöglich rückblickend schließen, damit sei die Seelenwanderungslehre abgelehnt worden und vor dieser Zeit sei diese Lehre eine ganz selbstverständliche christliche Doktrin gewesen. Die patristische Literatur und Theologie beweisen vielmehr das Gegenteil. Wie die späteren Konzilien haben sich die allermeisten Kirchenväter gegen die Seelenwanderungslehre ausgesprochen, was in besonders deutlicher Weise bei Augustinus zum Aus- druck kommt: «Es ist für mich einfältig zu glauben, dass sich die Seelen aus dem jenseitigen Leben, das ein vollkommen glückliches nur sein kann, wenn es die Gewähr ewiger Dauer hat, nach der Hinfälligkeit des verweslichen Lebens sich wieder sehnen und von dort zu diesem zurückkehren wollen.» Mit diesen Worten hat Augustinus in klassischer Weise ausgesprochen, wovon der christliche Glaube überzeugt ist, dass nämlich unser jetziges Leben einmalig und somit ein radikaler Ernstfall ist. Vermag man diese Überzeugung zu teilen, versteht es sich leicht, dass die Vorstellung von Wiedergeburt und Reinkarnation mit dem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren ist und dass diese Vorstellung in der christlichen Tradition nie eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Wenn man bedenkt, was alles mit dieser Lehre für den christlichen Glauben auf dem Spiel steht, muss sich dies eigentlich von selbst verstehen. Die Wiedergeburtslehre reibt sich vor allem am christlichen Interesse an der Einmaligkeit der Erlösung des Menschen durch Tod und Auferweckung Jesu Christi und folglich am christlichen Interesse an der Einmaligkeit des individuellen Menschenlebens zwischen Geburt und Tod. Diese erzchristliche Überzeugung gilt es heute freilich in neuer Weise zu profilieren. Die weite Verbreitung der Reinkarnationsvorstellung macht diese Aufgabe in der christlichen Verkündigung ohne jeden Zweifel überfällig. Um seiner eigenen Identität willen kann nämlich der christliche Glaube nicht darauf verzichten, seine Überzeugung vom fordernden und harten Lebensverständnis von der Einmaligkeit des Lebens gelegen oder ungelegen und keineswegs nur gelegentlich zu verkündigen, wie sie fundamental zur biblischen Botschaft gehört, wie sie in der christlichen Taufe ihren Tatbeweis findet und wie sie in der christlichen Glaubensaussage des Fegefeuers in glaubwürdiger Weise zum Tragen kommt. |
B) Brief des Arbeitskreis Origenes an den Kurienkardinal Kurt Koch
Sehr geehrter Herr Kardinal Kurt Koch! Beim Durchstöbern der Gästebibliothek im Kloster St. Erentraud bei Weingarten war ich wie elektrisiert, als ich im Mai 2012 die Überschrift eines Artikels „Leben wir nur einmal auf Erden? – Reinkarnation und Fegefeuer“ las. Ich hatte zunächst keinen Blick auf den Namen des Verfassers geworfen. Der Artikel begeisterte mich dermaßen, dass ich mir vornahm dem Autor zu schreiben um ihm zu diesen Überlegungen zu gratulieren. Erst später wurde mir klar, dass Sie zu dieser Zeit der Bischof von Basel waren und zwischenzeitlich sogar zum Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen berufen worden sind. Mein Vorhaben möchte ich trotzdem in die Tat umsetzen und den Brief an Sie schreiben. Ich veröffentliche ihn in meiner Website unter http://www.origenes.de/kommentare/kommentare.htm . Sie machen dem Leser zunächst klar, dass die Reinkarnationsvorstellungen in den östlichen Religionen und im Westen sehr verschieden sind. In den östlichen Religionen möchte man der Wiedergeburt möglichst entrinnen, weil sie nur Leid bedeutet, während im Westen das nochmalige Erdenleben als tröstlich angesehen wird um sich fortzuentwickeln und begangene Fehler wieder gut machen zu können. Dieses westliche Bild der Reinkarnation lässt Sie die Verknüpfung mit dem Christentum entdecken: Die katholische Lehre des Purgatoriums als ein Reinigungsweg zwischen Tod und Auferstehung kann darin bestehen, dass eine Seele in einem neuen Menschen wiedergeboren wird um das zu lernen was ihr noch fehlt. Sie vermerken mit Recht, dass die schreiende Ungerechtigkeit der krass unterschiedlichen Lebensumstände, unter denen Menschen in diese Welt hineingeboren werden, damit eine Erklärung finden würde. Ganz neu sind solche Gedanken auch im Christentum nicht. Sie erinnern an Origenes, der schon im 3. Jahrhundert lehrte, dass alle Umstände eines menschlichen Lebens seine Ursache in der Praeexistenz der Seele hat. Auch wenn es fraglich ist, ob Origenes damit auch die Reinkarnation gemeint hat, so ist doch dieses Bild eine ganz entscheidende Erweiterung gegenüber der heutigen Lehrmeinung von der Schöpfung einer Seele während der Zeugung. Rückerinnerungen von Kindern an frühere Leben sind teilweise recht überzeugend. Sie erwähnen in ihrem Buch selbst einige Fälle. Einige weitere finden Sie in meiner Website unter http://www.origenes.de/praeexistenz/praeexistenz.htm . Auch bei Menschen mit sog. Nahtodeserfahrungen kommen Erinnerungen an frühere Leben vor. Ein ausführlicher Bericht stammt von Stefan von Jankovich: www.origenes.de/praeexistenz/jri/jankovich-reinkarnation.htm. Sie stellen natürlich auch die Frage nach der Beweisbarkeit der Reinkarnation und stellen mit Recht fest, dass dies prinzipiell nicht der Fall sein kann. Selbst im Bereich der neueren Physik spricht heute niemand mehr von Beweisen im Sinne einer absoluten Wahrheit. Ein Beweis in strengem Sinne gibt es nur in der Mathematik bei einer reinen Logik. Im Bereich der Außenwelt sind wir auf Interpretation von Beobachtungen angewiesen. Man kann zwar neue Beobachtungen ggf. in bestehende Weltbilder einordnen, der Beweis oder die Falsifizierung bleibt aber immer nur relativ zum Referenzweltbild. Wenn dies einmal nicht gelingt, werden diese neuen Beobachtungen oft ignoriert oder als Täuschungen angesehen. Stellt man sich aber dieser Herausforderung dann führen diese neuen Beobachtungen zu einem radikalen Umbruch und zu einem neuen Weltbild. Das ist natürlich nicht jedermanns Sache. Wer unwiderlegbare, also absolute Beweise für etwas wie die Reinkarnation fordert, darf sicher sein, dass er sein eigenes, ebenso unbeweisbares Weltbild nicht zu verlassen braucht. So kann niemand seriös von Beweisen für die Reinkarnation sprechen, wohl aber von überzeugenden Indizien. Sie haben diese Indizien, die für die Reinkarnation sprechen aufgeführt und warnen ihre Mitbrüder sogar davor einen neuen Fall Galilei zu inszenieren, wenn sie sich gegen abgesicherte Fakten zu Wehr setzten. Eigentlich erwartet der Leser nach dem ersten Teil der Lektüre ein deutlicheres Bekenntnis für die Reinkarnation. Deren prinzipielle Unbeweisbarkeit lässt Sie aber dann doch zum Ende des Buches auf die traditionelle Position eines einmaligen Lebens zurückziehen. Seit Erscheinen ihres Artikels 1997 sind viele weitere Fälle, die für die Reinkarnation sprechen, dokumentiert worden. So wird sich vermutlich der Prozess weiter fortsetzen, dass sich immer mehr Menschen des Westens dem Glauben an die Reinkarnation anschließen. Sie haben den Weg aufgezeichnet, wie diese Vorstellung auch in die christliche Lehre integrierbar ist. Ob sich dieses erweiterte christliche Weltbild innerhalb oder außerhalb der etablierten Kirchen entwickelt, hängt ganz von deren Verhalten ab. Sie, als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, bekleiden ein Amt in der katholischen Kirche, das dieses Verhalten entscheidend beeinflussen kann. mit herzlichem Gruß Claus Speer Claus Speer Arbeitskreis Origenes Wagenburgstr. 24 D 74081 Heilbronn mail@origenes.de |
C) Antwort von Kardinal Kurt Koch
Antwort von Kardinal Kurt Koch auf den offenen Brief des Arbeitskreises Origenes zu seinem Artikel Leben wir nur einmal auf Erden? Reinkarnation und Fegefeuer, der 1997 erschienen war, als er noch Ordinarius der theologischen Fakulität in Luzern war. Zunächst ist dankenswert zu bemerken, dass wir überhaupt eine Antwort aus dem Vatikan erhielten. Dass Kurt Koch heute (2013) als Kurienkardinal die Diskussion zu diesem Thema nicht mehr offen halten will, war zwar zu erwarten, ist aber trotzdem bedauerlich. So wird sich als Folge dieser Haltung der Glaube an die Reinkarnation zwar weiter verbreiten, aber überwiegend nur außerhalb der Kirche. Dort jedoch fehlt jedoch meist der Bezug zu Jesus Christus. In der Hoffnung dass eine zukünftige Theologengeneration das Thema energischer einbringt, ist im Anschluss ein Zitat von Larl Rahner eingefügt. |
D) Gedanken von Karl Rahner zur Reinkarnation
zusammengestellt von Jan Erik Sigdell Karl Rahner gehörte zu den größten katholischen Theologen in moderne Zeit, geboren 1904 in Freiburg i.Br., gestorben 1984 in Innsbruck, wo er Professor war. Er schrieb in »Zur Lehre vom ›Reinigungsort‹« (Purgatorium, eine Bezeichnung, die er statt »Fegfeuer« vorzieht) [1]: »Hier ist noch vieles zu tun, und manche Schwierigkeiten gegen die Lehre vom Zwischenzustand, vom Fegfeuer, können sicher noch ausgeräumt werden. Es sei noch auf die Frage hingewiesen, ob nicht in der katholischen und zunächst so altmodisch anmutenden Vorstellung von einem ›Zwischenzustand‹ ein Ansatz gegeben sein könnte, um besser und positiv mit der in den östlichen Kulturen so verbreiteten und da als selbstverständlich betrachteten Lehre von einer ›Seelenwanderung‹, ›Reinkarnation‹, zurechtzukommen, wenigstens unter der Voraussetzung, dass eine solche Reinkarnation nicht als ein niemals aufhebbares, zeitlich immer weitergehendes Schicksal des Menschen verstanden wird«. In einer anderen Schrift [2] bezog er sich auf Menschen, die keine Wahlfreiheit haben, sondern durch Macht, Gewalt oder widerliche Umstände zu einer für sie unvermeidlichen Lebensweise genötigt werden, sowie von Menschen, denen nicht die Heilsbotschaft gegeben wurde. Dazu schrieb er: »Aber in den hier zu bedenkenden Fällen hat ja diese Freiheitsgeschichte überhaupt noch nicht begonnen … dann könnte ich mir denken, dass die Möglichkeiten des ›Fegfeuers‹ auch noch den Raum bedeuten könnten für eine post-mortale Freiheitsgeschichte bei dem, dem eine solche Geschichte in seinem irdischen Leben versagt war. Wenn ich ehrlich bin, so will mir ein Gedanke an so etwas wahrscheinlicher scheinen als die Vorstellung, dass es Menschen gäbe, die in ihrer Existenz bleiben und denen Gott für alle Ewigkeit versagt hat, dass diese ihre Ewigkeit auch die Endgültigkeit ihrer Freiheitstat sei. Diese ›Seligen‹ wären Menschen, die in alle Ewigkeit Gott nie frei geliebt haben, deren ewige Liebe nie durch das Tor ihrer Freiheit in Endgültigkeit eingezogen wäre. Ich finde eine solche Vorstellung schrecklich … Die Vorstellung, eine solche Entscheidung geschähe ›im‹ Tod, und zwar dann auch bei ›Unmündigen‹ … ist genau gesehen nur eine andere Formulierung … Ich habe selber wahrhaftig nichts übrig für ›Seelenwanderung‹ und ähnliche Vorstellungen. Aber wenn man die ungeheure Verbreitung dieser Vorstellung in Raum und Zeit erwägt, die heute ja keinem engeren Kulturkreis allein angehört, wenn man dieses abendländische Empfinden nicht gar zu schnell und selbstverständlich als das allein richtige einschätzt, dann kann man sich fragen, ob an dieser Lehre von der Seelenwanderung nicht doch etwas Richtiges sein könnte. Dann könnte man … sich fragen, ob für eine solche gemäßigte Seelenwanderungslehre nicht doch auch innerhalb der christlichen Dogmatik von der Fegfeuerlehre her ein Platz frei wäre. Ich sage: gemäßigt, weil von der Fegfeuerlehre her ein solcher Platz für die als denkbar eingeräumt werden könnte, die in diesem irdischen (oder ersten) Leben nicht zu einer letzten personalen Entscheidung gekommen sind, und natürlich nicht für andere.« Was er in seiner komplizierten Sprache schreibt, ist, dass die Vorstellung von einem Fegfeuer, für denjenigen der es braucht und sich dadurch entwickeln könnte, auch die Reinkarnation als einen Weg zur »Seelenreinigung« beinhalten könnte. Das wäre wahrhaftig gerechter und mehr in Einklang mit Gottes Liebe, als eine ewige Verdammnis von dem, der in Unreife oder in Mangel an Gelegenheiten (dem also keine Chance gegeben wurde) nicht zu einer »letzten personalen Entscheidung« kommen konnte. Referenzen: 1. Karl Rahner: Grundkurs des Glaubens, in: Sämtliche Werke, Bd. 26, Benziger, Zürich und Herder, Freiburg i.Br., 1999, S. 416-417. 2. Karl Rahner: »Fegfeuer«, in: In Sorge um die Kirche, in: Schriften zur Theologie, Bd. XIV, Benziger, Zürich, S. 447-449 |