Titu
Ein indischer Junge erinnert sich an ein Leben als Suresh Verma. Dieser war kurz vor Titus Geburt erschossen worden. Prof. Chada von der Universität Delhi, Dr. Antonia Mills von der Universität Virginia untersuchten den Fall in Zusammenarbeit mit Prof. Jan Stevenson, Universität Virginia.
Wissenschaftler sind normalerweise vorsichtig, bevor sie etwas für bewiesen erklären. Selbst die so genannte exakte Physik zieht es mittlerweile vor, ihre Forschungsergebnisse nicht als Wahrheiten, sondern als Vermutungen über die wahre Natur der Dinge auszugeben. Wenn nun Wissenschaftler erklären — und das tun sie tatsächlich —, dass ihre Forschungen der vergangenen 30 Jahre ,,in starkem Maße Wiedergeburt vermuten lassen“ – so müssen die ,,Beweise“ schon sehr stichhaltig sein. Wiedergeburt ist nach Ansicht dieser Wissenschaftler die plausibelste und rationalste Interpretation ihrer Forschungsergebnisse. Es darf folglich ernsthaft und ,,vernünftigerweise“ in Betracht gezogen werden, dass es Wiedergeburt gibt und dass Menschen, die starben, in einem neuen Körper wiedergeboren werden.
Die Forschung ist umfangreich. Rund 2500 Fälle wurden im Laufe der Jahre systematisch untersucht. Sie sind im Archiv des Medical Centers der Universität von Virginia Charlottesville, USA, registriert. lan Stevenson, der Direktor des Instituts, ist die zentrale Figur dieser Forschung. Mit ihm arbeiten rund um den Erdball Wissenschaftler zusammen. Zum Beispiel Prof. N. K. Chadha von der Universität von Delhi in Indien, der mir die Methodik der Untersuchungen erklärte und von seinen gelösten und ungelösten Fällen erzählte. Ich konnte spüren, dass es für ihn keine trockene Routineforschung war. Er wirkte engagiert, interessiert und womöglich selber erstaunt über die spektakulären Fälle, denen er in den abgelegenen Dörfern Indiens auf die Spur kam. Es kostet ihn viel Mühe, mögliche Fälle von Wiedergeburt, die ihm zu Ohren kommen, zu untersuchen und herauszufinden, ob sie authentisch sind. Im Schnitt 30 Besuche in Gegenden, oft abseits jeder Straße, und unzählige Einzelinterviews mit den Familienmitgliedern sind keine Seltenheit. Dabei widmet er nur rund ein Fünftel seiner Zeit als ordentlicher Psychologie-Professor der Wiedergeburtsforschung. 25 Fälle hat er zusammen mit seinen Assistenten gründlich untersucht. Elf davon sind ,,gelöst“ — zum Beispiel der Fall von Titu Singh, über den kürzlich ein Film für die BBC gedreht wurde.
Titu wurde im Dezember 1983 in einem Dorf in der Nähe von Agra geboren. Mit vier Jahren fing er an zu behaupten, dass er Suresh Verma heiße, ein Radiogeschäft in Agra habe und eines Abends auf dem Nachhauseweg erschossen worden sei. Er habe zwei Söhne und eine Frau namens Uma. Er sprach detailliert davon, wie er gestorben sei: Er fuhr mit den Auto nach Hause und hupte, damit Uma das Tor aufmacht. Da rannter plötzlich zwei Männer auf ihn zu und schossen. Eine Kugel traf ihn am Kopf.
Er war seinen ,,neuen“ Eltern gegenüber aggressiv, nörgelte an ihnen herum und warf gelegentlich sogar mit Tellern. Er ließ sich nicht davon abbringen, dass sie nicht seine richtigen Eltern seien. Die lebten nämlich in Agra, behauptete er stur. Titus älterer Bruder fuhr schließlich genervt nach Agra und war geschockt, — fand er doch tatsächlich im Bazar einen ,,Suresh Radioshop“- Er erkundigte sich:
Der Inhaber — ein gewisser Suresh Verma — war im August 1983 umgekommen — genau so, wie es Titu beschrieben hatte. Uma, die Witwe von Suresh, war neugierig auf den Jungen, der behauptete, ihr Mann zu sein. Sie fuhr zusammen mit den Eltern und drei Brüdern von Suresh ins Dorf von Titu.
Titu lief sofort freudestrahlend auf seine ,,Eltern“ zu und umarmte sie. Uma warf er einen schüchternen Blick zu, und dann wandte er sich enttäuscht an seine Brüder: Warum sie nicht mit seinem Fiat, sondern einem anderen Auto gekommen seinen? Sie hatten den Fiat nach Sureshs Tod verkauft.
Titu wurde mit nach Agra genommen. Die Brüder — alle erwachsene Männer- wollten ihn testen und am Radiogeschäft vorbeifahren. Doch der Vierjährige riss dem Fahrer fast das Steuer aus der Hand. ,,Stopp, hier ist mein Laden“- schrie er. Im Geschäft machte er einige Bemerkungen zu Neuerungen, die in der Tat nach Sureshs Tod vorgenommen worden waren.
Prof. Chadha und Dr. Antonia Mills von der Virginia University untersuchten den Fall gemeinsam über fast vier Jahre hinweg. Sie gingen äußerst systematisch vor, um eventuelle Widersprüche aufzudecken und um auszuschließen, daß Titu auf normalem Kommunikationsweg zu seinen Informationen gekommen sein konnte. Sie beobachteten ihn und seine Reaktionen genau. Einmal, als Prof. Chadha den kleinen Titu aufforderte, Mahesh, den rund 35jährigen jüngeren Bruder von Suresh zu grüßen, weigerte der sich: ,,Er ist mein kleiner Bruder“, erwiderte er allem Augenschein zum Trotz. (In Indien zollt der Jüngere dem Alteren Respekt und nicht umgekehrt.) Die Beziehung zwischen Suresh und Mahesh soll außerdem gespannt gewesen sein, fanden die Forscher heraus, und das mag erklären, warum Titu Mahesh links liegen ließ. Mahesh war es dann auch, der als einziger der Familie Verma länger seinen Zweifel hatte: Da Suresh in Agra bekannt war und jeder von dem Mord wusste, könnte der Kleine mit diesen Informationen gefüttert worden sein —vielleicht, um seiner Familie finanzielle Vorteile zu verschaffen … spekulierte er, allerdings nur für kurze Zeit, bis er selber seinen Test vornahm. Er fasste Titu am Handgelenk und ließ nicht locker: ,,Sag mir, was ist während meiner Hochzeit passiert“, forderte er den Jungen heraus. Der antwortete unwirsch: ,,Warum, nichts ist passiert. Ich habe mit Telleni geworfen:‘ Seither ist auch Mahesh überzeugt, denn es stimmte: Suresh passte etwas nicht, und er verdarb die Stimmung auf der Hochzeit seines jüngeren Bruders, indem er wütend mit Tellern warf.
Körpermal deckt sich mit Schusswunde
Den Forschern fiel noch etwa anderes auf: An der rechten Schläfe des kleinen Titu entdeckten sie eine eigenartige Delle. Sie studierten den Autopsiebefund von Suresh Verma und fanden heraus, daß die Kugel genau an der gleichen Stelle in dessen Kopf eingedrungen war. Und wo sie ausgetreten war, entdeckten die Forscher bei Titu ein sternförmiges Mal.
Der Fall ist in der Terminologie der Wissenschaftler ,,gelöst“ weil die frühere Persönlichkeit identifiziert werden konnte, alle Angaben über Kreuz geprüft und keine Unstimmigkeiten gefunden wurden. Der Fall ,,lässt in starkem Maße vermuten, dass es sich um Wiedergeburt handelt“ sagen die Wissenschaftler. Wie aber steht es mit den ungelösten Fällen? Sprechen Siegegen Wiedergeburt?
Prof. Chadha erklärt, dass jene Fälle als ,,nicht gelöst“ bezeichnet werden, bei denen die Person, die das Kind gewesen zu sein behauptet, nicht ausfindig gemacht werden konnte. Das muss natürlich nicht heißen, dass diese Fälle nicht dennoch authentisch sind. Es kann vielmehr bedeuten, dass die Angaben des Kindes nicht detailliert genug waren, um in den überbevölkerten Dörfern und Städten Indiens jener bestimmten Person auf die Spur zu kommen, die zudem seit mindestens vier Jahren tot ist. Wer sich die schwierigen Verhältnisse im Land vergegenwärtigt, dürfte überrascht sein, dass es überhaupt gelöste Fälle gibt.
Interessant sind Vergleiche von Fällen: Zum Beispiel fanden Forscher heraus, dass Männer, die starben, in der Regel als Jungen, und Frauen als Mädchen wiederkommen — von wenigen Ausnahmen abgesehen. Außerdem zeigten bereits die Kinder hervorstechende Charakterzüge der früheren Persönlichkeit — bei Titu Singh war es die Aggressivität, für die Suresh Verma bekannt war. In fast allen Fällen, und in allen Kulturen, fangen die Kinder bereits mit drei oder vier Jahren an, über ihr früheres Leben zu erzählen. Mit sechs oder sieben verlieren sich in rund 90 Prozent der Fälle die Erinnerungen. Das ist zweifellos eine Beruhigung für betroffene Eltern, denn Kinder, die sich an ein früheres Leben erinnern, sind meist unkonzentriert, unruhig und unzufrieden, wie die Forscher beobachteten.
Dass solche Erinnerungen keine Seltenheit und als Phänomen bekannt sind, zeigt die Tatsache, dass es im ländlichen Indien ,,Hausmittel“ gibt, die diese abstellen helfen sollen. Dem Volksglauben nach stirbt nämlich jemand, der sich an sein vergangenes Leben erinnert, bereits in jüngeren Jahren. Kein Wunder, dass es die Eltern nicht gerne hören, wenn ihr Kind offensichtlich Bemerkungen über ein früheres Leben macht.
Den Forschem fiel noch etwas Seltsames auf: In rund vier von zehn Fällen erinnert sich das Kind, eines gewaltsamen Todes gestorben zu sein: durch Unfall oder Mord. Und das passierte in relativ niedrigem Alter: im Schnitt mit 34 Jahren. Der Zeitraum zwischen Tod und Wiedergeburt war außerdem signifikant kürzer als bei Fällen, in denen die erinnerte Person eines natürlichen Todes gestorben war: im Durchschnitt weniger als zwei Jahre. Es gibt in Indien bis in Einzelheiten gehende Glaubensvorstellungen darüber, wie solche Feststellungen zu erklären sein könnten: Möglicherweise sind bei vorzeitigem, unerwartetem Tod noch viele Wünsche und Pläne vorhanden. Jemand, der mitten aus dem Leben gerissen wird, mag das Gefühl haben, dass er mit seinem Leben noch nicht fertig ist. Er wird versuchen, möglichst schnell wiederzukommen, um ,,weiterzuleben“, Das starke Interesse am ,,alten“ Leben und die im Verhältnis kürzere Intervallzeit sind eventuell dafür verantwortlich, dass die Erinnerungen leichter zugänglich sind bzw. die Identifikation mit der früheren Persönlichkeit dominiert.
Das sind natürlich Annahmen, die zwar im traditionellen indischen Gedankengut verankert, aber kaum zu ,,beweisen“ sind. Schauen wir uns nun die wissenschaftliche Widergeburtsforschung an.
Es wird häufig beobachtet, dass ein Kleinkind — nur drei Jahre oder vier Jahre alt — mit der ganzen Überzeugungskraft, deren es fähig ist, behauptet, eine bestimmte (erwachsene) Person zu sein, die so und so heißt, so und so gelebt hat und so und so gestorben ist. Nachforschungen ergeben, dass tatsächlich eine Person, auf die die Angaben des Kindes zutreffen, existiert hat und vor der Geburt des Kindes gestorben ist. Die Familie des Verstorbenen bestätigt die zum Teil erstaunlichen ,,Insider-Informationen“ des Kindes als korrekt. Wird ein Treffen zwischen dem Kind und der Familie des Verstorbenen arrangiert, so ,,erkennt“ das Kind in der Regel seine früheren Verwandten.
Die Frage, die die Wissenschaftler zu beantworten versuchen, ist: Wie kam das Kind zu seinen Informationen? Folgende Möglichkeiten kommen in Betracht:
· auf natürlichem Kommunikationsweg. Die Eltern füttern das Kind mit Informationen, weil sie sich durch Vortäuschung einer Wiedergeburt Vorteile erhoffen.
· durch außersinnliche Wahrnehmung. Das Kind hat die Fähigkeit, sich paranormal in die betreffende Person hineinzuversetzen.
· durch Erinnerung. Das Kind war in seinem vergangenen Leben die Person, an die es sich erinnert.
Die erste Erklärung ist nach Ansicht der Forscher äußerst unwahrscheinlich. Erfahrungsgemäß ist es nämlich weder finanziell noch hinsichtlich des Status profitabel, Wiedergeburt vorzutäuschen — ganz abgesehen davon, daß in den meisten Fällen die Eltern zur Familie des Verstorbenen nachweislich keinen Kontakt hatten, und außerdem sogar Methoden zur Unterdrückung der Erinnerung angewandt hatten, bevor der Fall auf dem Schreibtisch der Forscher landete.
Fragwürdig ist auch die zweite Hypothese: Wenn das Kind tatsächlich zu außersinnlicher Wahrnehmung fähig wäre — warum beschränkt sich diese Begabung auf die Wahrnehmung einer einzigen, bereits verstorbenen Person? Warum läßt das Kind sonst keine paranormalen Fähigkeiten erkennen?
Bleibt also die dritte Möglichkeit. Und es spricht sicher nicht gegen sie, daß die alten heiligen Schriften des Ostens Wiedergeburt für selbstverständlich halten.
Welchen Vorteil hat es nun, dass die Wiedergeburt sozusagen den Status einer wissenschaftlichen Theorie zugeschrieben bekommt und nicht mehr nur als Element der jahrtausende alten östlichen Weisheitslehren betrachtet wird? Wir im Westen sind wohl diejenigen, die davon auf lange Sicht profitieren werden. Für die meisten Inder ist Wiedergeburt soviel wie eine Tatsache, und es spielt für sie überhaupt keine Rolle, ob die Wissenschaft ihre Überzeugung unterstützt oder nicht.
Ihre Lebensanschauung und ihre Spiritualität sind eng mit der Idee der Wiedergeburt verbunden. Auch Professor N. K. Chadha bejaht ohne Zögern die Frage, ob er persönlich an Wiedergeburt glaube. Abendländer hingegen sind meist recht unflexibel, wenn es um Wiedergeburt geht. Sie haben es bisher nicht für möglich gehalten, warum sollten sie es in Zukunft tun? Wurde ihnen nicht lange genug suggeriert, dass Wiedergeburt der absurde Glaube heidnischer Religionen sei?
Es wäre für uns Menschen des Westens sicher gut, wenn sich allmählich herumspräche, dass wissenschaftliche Forschungen auf das Faktum der Wiedergeburt hindeuten. Denn mit dem Glauben an Wiedergeburt geht zweifellos eine veränderte Einstellung zu Leben und Tod einher. Der Tod verliert etwas von seinem Stachel, und das Leben gewinnt eine andere Dimension. Das Gesetz des Karmas zum Beispiel, nach dem jeder erntet, was er gesät hat, bekommt plötzlich sehr viel mehr Sinn, wenn man es nicht nur auf ein einziges Leben bezieht.
Auch die großen Unterschiede zwischen den Menschen — ob jemand arm oder reich ist, gesund oder krank, intelligent oder geistig behindert — Unterschiede, die viele an einem gerechten Gott zweifeln ließen, erscheinen plötzlich in einem anderen Licht. Es ist alles im Fluss, alles in ständiger Veränderung; wer heute weint, mag morgen lachen und umgekehrt — ein ständiger Kreislauf von Geburt und Tod.
Auf einen weiteren wesentlichen Aspekt der Wiedergeburt nehmen die Wissenschaftler bislang keinen Bezug: Laut Aussage der östlichen Weisen ist es möglich, den Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt zu durchbrechen, daraus auszusteigen. Wenn wir erkennen, dass wir weder die derzeitige Person sind, für die wir uns halten, noch bestimmte Persönlichkeiten früher waren, dass wir keine getrennte Existenz haben, sondern eins mit allem sind, wenn wir das wirklich als ,,harte“ Realität erkennen — dann löst sich der Kreislauf von Tod und Wiedergeburt auf. Vielleicht ist es das, was Ramana Maharshi, einer der großen indischen Heiligen, mit seiner Antwort meinte, als er gefragt wurde, ob es Wiedergeburt gibt. Er sagte: ,,Es gibt Wiedergeburt, und es gibt sie nicht‘
(Ende des Artikels von Frau Maria Wirth)
Anmerkung des Arbeitskreises Origenes
zu den letzten Absätzen dieses Artikels von Frau Maria Wirth.
von Claus Speer
Zum Ende des Artikels wird ein Versuch unternommen die wissenschaftlichen Fakten in einem größeren und damit religiösen Sinnzusammenhang einzuordnen. Frau Wirth griff -verständlicherweise- auf östliche Religionen zurück. Die Präexistenzlehre des christlichen Kirchenvaters Origenes ist hier in einem Punkt anders: Der Individualitätskern einer Person, ist sein Geist und ist über die ganze Kette der Inkarnationen – auch davor und danach (!) derselbe. Was die östlichen Religionen nicht kennen: Zur ersten Inkarnation führte der Geisterfall – ein Nichtbeachten der universellen Ordnung. Die ursprüngliche Heimat eines jeden Geistes ist eine harmonische Welt. Die christliche Auferstehungsvorstellung entspricht dem Eingehen in die alte Heimat der paradiesischen Welten nach einem Erfahrungs- und seelischen Läuterungsprozess durch die Wiedergeburten. Weiter ist noch darauf hinzuweisen, dass die ganzen Inkarnationsketten mit immer länger werdenden Lernphasen in jenseitigen Bereichen einhergehen. Zu Beginn der Inkarnationskette sind nur kurze oder gar keine Vorbereitungen auf die nächste Inkarnationen eingeplant. Diese Phasen entsprechen dann eher dem indischen Seelenwanderungsbegriff. In den letzten Inkarnationen sind die Zwischenphasen länger und der Betreffende wird immer stärker in die Planung und damit Eigenverantwortung seines zukünftigen Lebens als Mensch einbezogen. Erst wenn der Mensch auch unter den erschwerten Bedingungen eines irdischen Lebens die tiefe Verbundenheit mit allem mit seinem ganzen Sein erspürt und ist er wieder so weit in seine Urheimat zurückzukehren.